OGE-Politikbrief digital:

Die Zeit drängt

Impulse eines Gasnetzbetreibers für die kommende Legislaturperiode

Hinter uns liegt eine energie- und klimapolitisch bewegte Legislaturperiode: Zwei Klimaschutzgesetze, zwei Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und eine Nationale Wasserstoffstrategie wurden beschlossen. Auf europäischer Ebene haben der „Green Deal“ und die daraus resultierenden neuen Klimaziele sowie das Fit-for-55 Paket neue Maßstäbe gesetzt. Für die kommende Bundesregierung wird es nun darum gehen, in vielen Bereichen des Klimaschutzes in die Umsetzung zu kommen. Denn auch wenn die Große Koalition in den vergangenen vier Jahren einige wichtige Projekte umgesetzt hat und in Europa ein neuer Konsens für den Klimaschutz entstanden ist: Viele Maßnahmen galten nur der Definition neuer Ziele und haben nicht den Weg zu deren Erreichung aufgezeigt. OGE möchte einen Beitrag zur Erreichung der nationalen und europäischen Klimaziele leisten und daher Vorschläge machen, wie Energieinfrastruktur durch politische Maßnahmen eine klimaneutrale Zukunft ermöglichen kann.

Der schwere Teil liegt noch vor uns

Besonders das neue Klimaschutzgesetz mit dem Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 zeigt, dass noch viel zu tun bleibt. Bis 2030 sollen in Deutschland nun 65 Prozent statt 55 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erreicht werden. Dieses Ziel ist absolut richtig, doch ein Großteil der Einsparungen soll in der Stromerzeugung erfolgen, vor allem durch einen beschleunigten Kohleausstieg. Wir dürfen aber nicht vergessen: Strom macht nur ungefähr 20 Prozent unseres Endenergieverbrauchs aus. 80 Prozent der Energie wird durch Moleküle bereitgestellt, bei denen bislang nur ein geringer Teil dekarbonisiert ist. Für eine erfolgreiche Energiewende müssen daher CO2-haltige, molekulare Energieträger schnellstmöglich dekarbonisiert werden. Wasserstoff kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Der knappe Zeithorizont zur Erreichung unserer Klimaziele lässt beim Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft keine Verzögerungen mehr zu. Der Wasserstoff muss nun zunächst in der Industrie (z.B. Stahl und Chemie) und im Schwerlastverkehr zum Einsatz kommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird Wasserstoff dann auch in der Gebäudewärme eine Rolle spielen. Hier ist es zunächst wichtig, ausgehend von realen Versorgungssituationen eine Analyse und Bewertung unterschiedlicher Dekarbonisierungspfade für den Wärmemarkt vorzunehmen. Eine derartige Studie wurde vom Nationalen Wasserstoffrat initiiert und vergeben. Bis zur Vorlage der Ergebnisse sollten politische Entscheidungen vor allem darauf ausgerichtet sein, alle technologischen Pfade offen zu halten.

Um den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft so schnell wie möglich zu schaffen, sind aus unserer Sicht die folgenden Schritte unabdingbar:

  • Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der Wasserstoffproduktion
  • Anreize bei der Anwendung von Wasserstoff
  • Zeitnaher Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, die auf abgestimmten Planungsprämissen für alle relevanten Energieträger aufsetzt
Klimaschutz braucht ambitionierten Infrastruktur-Ausbau

Die Energiewende zeigt bisher, dass die Infrastruktur ein unverzichtbarer Baustein für das Erreichen unserer Klimaziele ist. Schon bei der Integration wachsender Anteile von Erneuerbaren Energien in unser Stromsystem waren die Netze das Nadelöhr. Der Netzausbau folgte dem Ausbau der Erzeugung und hat diese in Folge mit ausgebremst. Daraus müssen wir beim Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur lernen. Die Bereitstellung von Infrastruktur muss mindestens zeitgleich, idealerweise sogar vor dem Aufbau von Produktionskapazitäten geschehen.

Die bestehende Gasinfrastruktur bietet für den künftigen Wasserstofftransport die besten Voraussetzungen. Die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) sind in den letzten Jahren in Vorleistung gegangen und haben wichtige Schritte zur Umstellung der Gasnetze eingeleitet. Es wurde umfänglich untersucht, ob bestehende Leitungen „H2-ready“ sind. Mit der Industrie sind Partnerschaften entstanden, um zu ermitteln wann und an welcher Stelle Wasserstoff in Deutschland jetzt und in Zukunft benötigt wird. In konkreten Projekten wie z.B. GetH2Nukleus wurde die Umstellung der ersten Teile der Gasnetze vorbereitet.

Der Branchenverband FNB Gas hat außerdem kürzlich sein zuerst im Frühjahr 2020 vorgestelltes Konzept für ein Wasserstoff-Netz für Deutschland weiterentwickelt. Dies beinhaltet Netzkarten für die Jahre 2030 und 2050, die Quellen und Senken für Wasserstoff in Deutschland verbinden und so die jeweiligen in den Jahren vorhandenen Wasserstoffbedarfe decken kann. Demnach soll das deutsche Wasserstoffnetz bis 2030 auf eine Länge von 5.100 km anwachsen (davon 3.700 km aus bestehenden Leitungen). Im Jahr 2050 wird das Netz dann über 13.300 Leitungskilometer verfügen (davon 11.000 aus bestehenden Leitungen). Um dieses Netz zu realisieren müssen rund 6 Mrd. EUR bis 2030 und bis 2050 rund 18 Mrd. EUR investiert werden.

Kurzum: Die FNB verfügen über die zum Wasserstoff-Transport nötigen Leitungen und das Know-How für den zeitnahen Aufbau und den sicheren Betrieb einer Wasserstoff-Infrastruktur. Der Einstieg muss nun schnellstmöglich politisch begleitet werden, damit wir beim Erreichen unserer Klimaziele keine weitere Zeit verlieren.

Die Bundesregierung hat in der abgelaufenen Legislaturperiode mit der Novellierung des EnWG erstmals die Möglichkeit einer Regulierung für Wasserstoffnetze in Deutschland eingeführt. Ein sehr wichtiger erster Schritt – aber eben auch nur ein erster. Die von der Regierung als Übergangsregulierung bezeichneten Regeln sind nicht das umfassende Werk, dass es für den effektiven Aufbau von Wasserstofftransportinfrastruktur gebraucht hätte. Das Gesetz ermöglicht zwar rechtlich den Aufbau von H2-Netzen, bietet jedoch keinen ausreichenden Finanzierungsrahmen, um Investitionsentscheidungen zu fällen. Wir stehen quasi mit leerem Tank an einer grünen Ampel.

Die Aufgaben für die Ampel-Koalition

Aufgabe der kommenden Bundesregierung muss es nun sein, diese offenen Fragen zeitnah anzugehen und zu klären. Und der Gesetzgeber hat sich hier bereits selbst eine To-Do-Liste geschrieben. Spätestens Ende 2022 muss das EnWG erneut überprüft und mit dem Ziel weiterentwickelt werden, eine gemeinsame Regulierung und Finanzierung der Gas- und Wasserstoffinfrastruktur einzuführen. Das ist der richtige Ansatz angesichts der Tatsache, dass sich das Wasserstoffnetz aus dem bestehenden Gasnetz entwickeln wird. Von dieser Entscheidung würde das starke Signal ausgehen, dass die Gasnetzbetreiber mit dem Aufbau eines Wasserstoff-Netzes in Deutschland beauftragt sind und so die Voraussetzung auf der Infrastrukturseite für den notwendigen schnellen Hochlauf von Wasserstoff geschaffen.

Darüber hinaus stehen auch in Brüssel wegweisende Entscheidungen an. In der EU werden ab Ende des Jahres mit der Umsetzung des im zweiten Teil der Fit-for-55 Maßnahmen vorgesehenen Wasserstoff und Gasmarkt-Dekarbonisierungspakets die Weichen für den Aufbau einer europaweiten Wasserstoff-Infrastruktur gestellt. Hier gilt es für die neue Bundesregierung, sich für den oben beschriebenen Weg einzusetzen.

Die nächsten vier Jahre werden entscheidend für die Ausrichtung unserer Gesellschaft auf Klimaneutralität sein. Die alte Regel zunächst Strom, dann Industrie, Mobilität und Wärme gilt nicht mehr. Es bleibt nur noch ein Investitionszyklus, um das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 zu erreichen. Daher müssen wir unverzüglich dafür sorgen, dass das Gerüst unserer Energieversorgung – die Infrastruktur – zum Enabler der Energiewende wird. Die bestehende Gasinfrastruktur kann hier einen Beitrag leisten und ist auf die Umstellung auf Wasserstoff vorbereitet. Diese Potenziale gilt es nun auszuschöpfen.