Interview

Die Sektorenkopplung ist kein Modewort, sondern eine zwingende Notwendigkeit.

Ein Interview mit Andreas Rimkus, MdB, über den Stand der Energiewende, geführt von Alexander Land, OGE.

Wo steht Deutschland in der Energiewende?

Ich glaube, dass wir – Stand Dezember 2019 – sehr weit sind. Im UN-Klimaschutz­abkommen von Paris ist für das Zieljahr 2050 vorgesehen, das 2-Grad-Ziel einzuhalten und besser noch die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wir haben gut gearbeitet, weil wir ein, wie ich finde, allumfassendes Klimaschutzgesetz verabschiedet haben. Es nimmt die Bundes­ministerien in einer Weise in die Verantwortung, der sie sich nicht mehr entziehen können. Jedes Bundes­ressort muss jetzt im eigenen Zuständigkeitsbereich seine Aufgaben erledigen und einen Beitrag leisten zur Erreichung der Klimaziele. Die deutschen Klimaschutz­ziele sind nicht nur politisch vereinbart, sondern auch erstmals gesetzlich scharf formuliert. Das Handeln der Bundes­ministerien zu deren Erreichung ist damit gerichtlich überprüfbar. Das ist ein großer Hebel und jetzt kommen im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung weitere Gesetze dazu. Im Laufe der nächsten anderthalb bis zwei Jahre, solange wir noch mit der großen Koalition zugange sind, werden wir noch weitere Spezial­gesetze dazu auf den Weg bringen, Umsetzungs­gesetze erarbeiten und Instrumente entwickeln, die notwendig sind, um daraus richtig etwas zu machen, so dass die Flughöhe wieder stimmt. Also ich bin recht zuversichtlich, was das anbelangt.

Allen ist inzwischen klar, dass die 2020-Ziele nicht mehr zu erreichen sind. Bei den 2030-Zielen wagt noch keiner eine Prognose. Sind wir von der Dynamik ausreichend schnell unterwegs?

Nein, das glaube ich nicht. Da müssen wir definitiv noch Einiges nachlegen. Das Klimaschutzgesetz ist nur die Grundlage dafür, dass wir Klimaschutz und Energiewende jetzt ambitioniert gestalten können. Wir merken das zum Beispiel beim CO2-Preis. Die einen sagen, zu hoch, die anderen sagen, zu niedrig, für Dritte ist das dann passgenau. Ich sage, es ist ein Einstieg. Der Einstieg ist aber noch kein wirkliches Marktsignal. Das heißt, es wird in der Wirtschaft noch nicht verstanden, was man damit anfangen soll. Aber hier wurde ja über den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat bereits nachgebessert.

Setzt die Politik die richtigen Leitplanken? Wir haben gerade darüber gesprochen, das Klimaschutzgesetz ist die Grundlage. Reicht das?

Ich habe oftmals den Eindruck, dass die Marktakteure viel weiter sind als die Politik hierzulande.

Ich glaube, es reicht insofern, als dass die Politik weiß, was benötigt wird. Ich habe oftmals den Eindruck, dass die Marktakteure viel weiter sind als die Politik hierzulande. Wenn man sich beispielsweise die Verbändebriefe ansieht, ob nun aus dem Umweltschutz, aus dem Verbraucherschutz, aus der Energiewirtschaft oder aus den produzierenden Bereichen kommend: Die sagen alle, da muss mehr her. Ich finde, sie haben Recht. Ein Beispiel: Ich bin im Aufsichtsrat des Flughafens hier in Düsseldorf. Wir haben die Tage tatsächlich beschlossen, der Flughafen Düsseldorf wird 2035 klimaneutral sein und 2050 CO2-frei. Das ist nicht irgendwie eine Idee, sondern das ist ein Beschluss im Aufsichtsrat.

Wir schreiben Anfang Dezember 2019. Ist das Klimapaket der Bundesregierung letzte Woche im Bundesrat gescheitert? Denn die Bundesländer haben zu Teilen des Klimapakets den Vermittlungsausschuss angerufen. Grundsätzlich bedeutet das aber auch, dass am Ende alles nochmal hinterfragt werden könnte!?

Ja, das ist wahr. Das liegt aber auch im Föderalismus begründet. Wenn der Bund bestellt und die Länder bezahlen müssen, haben die Länder natürlich ein Problem damit. Das wäre umgekehrt genauso. Dass Teile des Klimapakets der Bundesregierung von den Ländern jetzt strittig gestellt werden und jetzt in den Vermittlungsausschuss gehen, ist eine ganz normale Sache staatlicher Gesetzgebung. Der November war noch die Zeit, in der wir ausgelotet haben, wo es klima- und energiepolitisch hingehen könnte. Jetzt im Dezember haben wir Klarheit. Das sage ich auch in aller Deutlichkeit an den Koalitionspartner gerichtet. Wir müssen beim Klimaschutz zulegen, damit wir auch eine Industrie- und eine Wirtschaftsstory hinkriegen.

Ist Wasserstoff nur ein aktueller Hype, eine neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird?

Nein, definitiv nicht. Der Wasserstoff, das erste Element, bietet perfekte physikalische Möglichkeiten eine Vielfalt von Energien aufzunehmen und insbesondere Strom aufzunehmen über den Pfad der Elektrolyse und damit die Volatilitäten, die wir im Strombereich haben, auszugleichen. Also, vom Tag in die Nacht zu verschieben oder vom Sommer in den Winter, sozusagen die Flautenzeiten auszuregeln. Uns stehen die Rohre zur Verfügung, in die man Wasserstoff einspeisen kann. Uns stehen Kavernen zur Verfügung, um Wasserstoff langfristig zu speichern. Wasserstoff wird eine signifikante Rolle spielen. Wir werden absehbar Wasserstoff bestimmt in der Luftfahrt sehen, im Güterverkehr, im ÖPNV-Bereich und wir sehen ihn garantiert im systemischen Bereich als Puffer für die Stromseite.

Was erwarten Sie von der Wasserstoffstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums?

Denn wir wissen, wir kriegen den Wasserstoff erst dann in die großindustrielle Anwendung, wenn wir ihm auch regulatorisch und rechtlich helfen, in das System hineinzukommen.

Ich habe zwei Erwartungen: Die eine Erwartung ist, dass die jetzt schnell kommt. Peter Altmaier hat versprochen, sie kommt noch im Dezember dieses Jahres. Inzwischen wissen wir, es wird nichts vor Januar 2020. Es muss jetzt aber auch endlich passieren, weil die Wirtschaft darauf wartet. Und ich erwarte zweitens konkrete Hinweise, in welchen Bereichen sich Herr Altmaier vorstellt, an das Problem regulatorisch heranzugehen. Denn wir wissen, wir kriegen den Wasserstoff erst dann in die großindustrielle Anwendung, wenn wir ihm auch regulatorisch und rechtlich helfen, in das System hineinzukommen.

Ein anderes Modewort ist immer wieder: Sektorenkopplung. Wie passen Wasserstoff und Sektorenkopplung zusammen?

Perfekt! Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, aus Düsseldorf. Ich bin selber von Haus aus Elektromeister und baue Stromnetze. Ein Stromnetz bildet die Verbindung zwischen Kraftwerk und Steckdose. Das ist eine Kopplung. Also wir koppeln tatsächlich auch über Steckersysteme, wir pluggen regelrecht. Und wenn wir jetzt Sektoren koppeln können, weil wir die Stromversorgung so aufgebaut haben, dass wir nicht nur Strom erzeugen, sondern die Prozesswärme aus den Gaskraftwerken nutzen, um daraus Fernwärme zu machen, dann ist auch das Sektorenkopplung. Und dann kommt jetzt nur noch der nächste Schritt hinzu, dass wir sagen: „Ok, alles das, was wir aus Strömen heute einsammeln und nicht direkt verbrauchen können, geht über den Wasserstoffpfad in unser Energiesystem und leistet in den Sektoren enorme Beiträge für Versorgungssicherheit und Klimaziele.“ Die Sektorenkopplung ist kein Modewort, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Wir werden die Sektoren zusammenbringen müssen, weil wir sonst unsere energie- und klimapolitischen Ziele nicht erreichen. Wir müssen über die bestehenden Business Cases, über die Grenzen der Branchen hinausgehen.

Nochmal ganz konkret: Ist der vorgeschlagenen CO2-Preis zu hoch, zu niedrig oder ist der Pfad, der aufgezeigt wird, genau der Richtige?

Für die einen ist er zu hoch, für die anderen zu niedrig. Ich persönlich sehe es so: Richtig ist, dass wir den Einstieg geschafft haben. Mittelfristig ist ein Preis von 10 Euro – inzwischen 25 Euro – natürlich nicht genug. Aber der Pfad, den wir aufgezeigt haben, bedeutet Folgendes: Wir steigen niedrig ein, ziehen dann aber kontinuierlich an bis auf ein Niveau mit nennenswerter Lenkungswirkung, und flankieren das Ganze zugleich durch Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Dazu gehört zum Beispiel auch die Pendlerpauschale und die Mobilitätsprämie für Menschen, die keine Einkommenssteuer zahlen müssen.“ Dies zeigt, dass wir auf der einen Seite ein Marktsignal setzen und auf der anderen Seite auch eine Entlastung für diejenigen realisieren wollen, die darauf angewiesen sind noch mit herkömmlichen Kraft- und Brennstoffen unterwegs zu sein, die sich den Fuelswitch noch nicht leisten können, weil dafür notwendige innovative Technologien noch nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind. Aber für die Industrie ist es ein klares Signal, dass wir es ernst meinen. Ich würde aber den CO2-Preis ergänzt wissen wollen um eine Beimengungsquote bei Kraftstoffen und um eine THG-Quote (Treibhausgasquote) bei Brennstoffen.

Sie sind zu diesem Interview mit Ihrem eigenen Vehikel gekommen. Was ist das für ein Fahrzeug?

Vehikel ist gut, es ist ein Fahrzeug mit zwei Rädern, nämlich ein Elektroroller. Also ein echter Scooter mit einer Tempo-70-Zulassung und einem großen Nummernschild mit dem E-Kennzeichen. Damit kann ich in Düsseldorf auch auf den Umweltspuren fahren. Das ist dieser Tage ganz angenehm.

Wie sieht die Mobilität der Zukunft für Sie aus?

Die Mobilität der Zukunft ist intensiver. Die Menschen wollen mobil sein, die Menschen werden immer weniger Autos im Eigentum haben, aber immer mehr Mobilitätsantworten in Besitz haben, indem von der ersten bis zur letzten Meile ein komplettes Angebot da sein wird. Es wird App-basiert sein, Menschen suchen sich über das Smartphone das Passende für sich und ihrer Mobilitätsansprüche der Zukunft heraus und werden damit glücklich werden. Der ÖPNV wird eine Zukunft haben, aber auch Kleinstfahrzeuge wie dieser Miniscooter. Alles das werden wir immer mehr sehen. Die Mobilität der Zukunft ist eine demokratische und in weiten Teilen öffentlich zugängliche, gemeinsam geteilte.

In Düsseldorf polarisieren aktuell die Umweltspuren. Wo stehen Sie in dieser Debatte?

Das ist eindeutig. Wir mussten reagieren. Die Deutsche Umwelthilfe hat erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Es ging um die Frage von NOX (Stickoxide) in den Straßen, wo wir die Grenzwerte dauernd reißen. Es musste gehandelt werden und man hat sich da mit der Bezirksregierung und mit der Landesregierung hingesetzt, beides CDU und FDP bestimmt. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister mit seiner Ampel hat dabei gemeinsam mit dem Land entschieden, dass es klug wäre, um ein Dieselfahrverbot in der Fläche zu verhindern, eben tatsächlich Umweltspuren einzuführen. Getreu dem Motto, es ist klüger, wenn wir dafür sorgen, dass gesteuert weniger Fahrzeuge in die Innenstadt hineinfahren, anstatt in Kauf zu nehmen, dass wir ungesteuert die Probleme in der Stadt bekommen. Denn sonst hätten wir ein Fahrverbot für 55.000 Düsseldorfer Pkw und deren Halter bekommen. Das sind alles Fahrzeuge, die keine Euro-6-Zulassung haben plus noch einmal die gleiche Menge an Pendler-Fahrzeugen. Fakt ist: Wir haben 300.000 zugelassene Fahrzeuge in Düsseldorf, 280.000 Fahrzeuge von außerhalb kommen jeden Tag hinzu. Also knapp 100.000 Autos hätten die Stadt gar nicht mehr erreicht. Deswegen haben wir gesagt, bevor das eintritt, sorgen wir lieber dafür, dass bestimmte Fahrzeuge über die Umweltspur gezielt gesteuert in die Stadt hineinkommen.

Gibt es schon Erkenntnisse? Gehen die NOX signifikant zurück?

Es geht uns hier auch um den Gesundheitsschutz der betroffenen Anwohnerinnern und Anwohner, die oft an Straßen wohnen, auf denen die Mieten noch bezahlbar sein. Diese Mieterinnen und Mietern haben ein Recht darauf, dass sie saubere Luft einatmen können.

Ja, es gibt die ersten Erkenntnisse, dass an den Messstationen, also dort wo tatsächlich auch das Gericht gesagt hat, hier müssen die Werte reduziert werden, die NOX tatsächlich reduziert worden sind. Ob die NOX jetzt so stark reduziert sind, dass wir an jedem Tag den Grenzwert einhalten, das kann ich noch nicht sagen. Der Versuch ist über ein Jahr angelegt. Solange werden wir warten müssen, um auch wirklich signifikant Vergleichsdaten zu haben. Es geht uns hier auch um den Gesundheitsschutz der betroffenen Anwohnerinnern und Anwohner, die oft an Straßen wohnen, auf denen die Mieten noch bezahlbar sein. Diese Mieterinnen und Mietern haben ein Recht darauf, dass sie saubere Luft einatmen können.

Was ist Ihr persönlicher Beitrag für die Erreichung der Klimaziele?

Ich habe zwei Beiträge. Ich sorge einerseits dafür, dass ich mit meinen Energien, die ich zur Verfügung habe, sorgsam umgehe. Ich sorge dafür, dass in meinem Haus die Gasheizung nur dann angeschaltet wird, wenn es wirklich absolut notwendig ist. Andererseits sorge ich dafür, dass ich mein Mobilitätsverhalten ausgleiche. Denn ich kann mein Verkehrsmittel nicht immer steuern, weil ich sehr häufig zwischen Düsseldorf und Berlin mit dem Flugzeug unterwegs bin, zumal Zeit ein extrem begrenzender Faktor ist. Mein Elektroroller, mit dem ich in Düsseldorf unterwegs bin, wird mit hauseigenem Solarstrom versorgt.

Wie gleichen Sie aus?

Ich unterstütze Klimaprojekte in Kenia und Nigeria. In den Projekten werden Solarkocher finanziert und den Menschen vor Ort zur Verfügung gestellt.

Herr Rimkus, vielen Dank für das Gespräch.