Volle Kraft voraus: Digitalisierung bei OGE

Vom Container­schiff zum Schnellboot

Die Welt, in der wir leben, ist ganz schön VUCA, finden Sie nicht auch? VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity. Auf Hochdeutsch: Unsere Welt ist geprägt von Unbeständigkeit, sie ist unsicherer als früher, komplexer dazu und geprägt von Mehrdeutigkeit. Das ist keine Welt, in der einmal getroffene Entscheidungen lange gültig bleiben.

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat die VUCA-Welt einerseits mitgeschaffen und bietet andererseits Möglichkeiten, mit der Unsicherheit, der Komplexität und dem permanenten Wandel umzugehen. Besonders betroffen von dieser neuen Welt ist OGE.

OGE ist eine Organisation des regulierten Energiemarkts. Wie ein großes Containerschiff bewegte OGE sich in der Vergangenheit beharrlich und zuverlässig in eine Richtung und belieferte Kunden mit allen gewünschten Gasmengen. Auch in der VUCA-Welt haben Containerschiffe ihre Berechtigung. Gefragt sind jedoch nun zudem Schnelligkeit, Flexibilität, Einfallsreichtum. Eine neue Art zu denken und zusammenzuarbeiten. Ein Unternehmen sollte jederzeit zu deutlichen Kurswechseln in der Lage sein und mehrere Ziele parallel verfolgen können.

OGE hat sich vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, innovativer und digitaler zu werden. Dafür wurden kleine Schnellboote zu Wasser gelassen. Kurs: Digitalisierung.

Ralf Werner ist CIO bei OGE und hauptverantwortlich für alle Digitalprojekte im Unternehmen

„Wir probieren ganz bewusst auch mal Dinge aus, kommen so schnell in die Umsetzung und skalieren die Projekte dann später.“

Die Strategie: Digitalisierung mit den Prinzipien der Digitalisierung

Kern der sogenannten Industrie 4.0 – des heutigen Zeitalters der Digitalisierung – sind zwei Entwicklungen: Vernetzung und Selbst­steu­e­rung. Mit vernetzten Systemen werden Informationen in Form von Daten ausgetauscht, damit Geräte, Maschinen und auch Menschen besser aufeinander reagieren können.

Hinzu kommt die Selbststeuerung von Maschinen und Anlagen. Dafür werden nach und nach Maschinen und die von ihnen produzierten Güter mit Sensoren ausgerüstet. Über diese Sensoren kommunizieren sie permanent. Untereinander und mit anderen Systemen – so werden in der digitalisierten Unternehmenswelt Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Lieferanten und Kunden miteinander vernetzt.

Diese Prinzipien nutzt OGE, um Unternehmensabläufe zu digitalisieren. Konkret mit dem „Digital Experts Program“. Das ist ein vernetztes System aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich selbst steuern, ständig kommunizieren und ihre Abläufe fortdauernd optimieren.

Ralf Werner:

„Digitalisierung ist kein IT-Thema. Sondern ein Unter­nehmens­thema. Da brauchen wir in jedem Fach­bereich jemanden, der die Digi­talisierung dort voran­treibt. Und das haben wir mit dem Digital Experts Program umgesetzt.“

Das Digital Experts Program

In jedem Fachbereich bei OGE gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich für die Welt der Digitalisierung interessieren, begeistern und eins der Schnellboote steuern wollen, mit denen OGE erfolgreich in die Zukunft kommt. Mit dem Programm wurden genau diese Menschen gesucht und gefunden. In Schulungen sind sie zu Digital Experts geworden. Nun denken sie in ihren jeweiligen Fachbereichen über geeignete Projekte nach, entwickeln eigene Maßnahmen und werben mit ihrem Engagement für den Weg zur Digitalisierung. Begleitet wurde das Ganze durch ein Gamification-Tool, bei dem mit Punkten und einem Award belohnt wurde, was jeder Digital Expert geleistet hat. Das Programm wirkte auf beeindruckende Weise nach innen: Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfuhren davon – und wollten ebenfalls Digital Experts werden. Das Netzwerk wurde immer dichter. Ideen und Maßnahmen zur Digitalisierung breiteten sich im Unternehmen immer stärker aus. Heute wird das Programm über den Digital Campus Zollverein organisiert und fortgesetzt.

Unternehmens­kooperationen am Digital Campus Zollverein

Gemeinsam mit anderen Essener Unternehmen wie E.ON, RAG und Thyssenkrupp setzt OGE hier gemeinsame digitale Initiativen um, zum Beispiel „Beyond Conventions“. Das sind sogenannte „Reverse Pitches“, bei denen Start-ups Konzepte zu Digitalisierungsthemen präsentieren, die den großen Unternehmen des Digital Campus wichtig sind. Ein anderes Beispiel: eine virtuelle Messe zum Thema Wasserstoff. Hier haben die Mitgliedsunternehmen des Digital Campus Zollverein der interessierten Öffentlichkeit während der Coronapandemie ihre Wasserstoffprojekte digital vorgestellt. Ein wichtiges Thema war der „H2UB“ – eine Plattform für Start-ups und etablierte Unternehmen aus dem Wasserstoffbereich.

Digitale Lösungen – nicht von Oben angeordnet, sondern initiiert in den Abteilungen

Sebastian van Bürk ist im IT-Team bei OGE dafür verantwortlich, Digitalisierungsprojekte durchzuführen, Workshops zu organisieren und zu moderieren und Kolleginnen und Kollegen aus allen Unternehmensbereichen in Sachen Digitalisierung zu schulen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre sieht er so: „Früher haben wir den Abteilungen Digitalisierungsprojekte und -ideen angeboten, unterstützt von der Geschäftsleitung. Heute ist es umgekehrt: Die Abteilungen sprechen uns an mit ihren Herausforderungen und Wünschen nach digitalen Lösungen.“

Im Unternehmen ist mittlerweile bekannt: Man kann jederzeit mit seinen Ideen auf uns zukommen. Wir unterstützen dann direkt mit Workshops, Coaching und Projektmanagement. Oft entsteht aus einer ursprünglich komplexen Idee zunächst ein MVP, ein „Minimum Viable Product“. Bedeutet: Statt jahrelang an einem Sportwagen zu bauen, entwickeln wir erst mal ein Skateboard. Etwas, das schnell im Sinne der Idee funktioniert. Und das man dann testet, weiterentwickelt, skaliert. Es braucht manchmal etwas Überzeugungsarbeit, den Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln, von ihren ursprünglichen Vorstellungen zunächst ein Stück weit abzurücken. Aber nur so sind wir schnell, können etwas testen, daraus lernen und uns in mehreren kleinen Schritten dem Sportwagen nähern.

Karen Pieper:

„Wir wollen die Leute für Digitalisierung begeistern. Das ist unsere Mission.“

Einige Digitalisierungs­maßnahmen, die bei OGE bereits umgesetzt werden oder in Planung sind:

Pipemon+

Bereits seit 2005 gibt es bei OGE das Leitungsüberwachungssystem Pipemon+. Über eine Korrosionsschutzanlage wird Schutzstrom an das Rohr im Boden gelegt. Dieser Strom sucht Fehlstellen in der Umhüllung der Pipeline. Beschädigt beispielsweise ein Bagger die Leitung, verändern sich Stromfluss und Messwerte. Über Sensoren entlang der Pipeline wird dann ein Alarm ausgelöst. Seit Neuestem wird Pipemon+ von künstlicher Intelligenz unterstützt. Die Algorithmen wurden über Monate angelernt. Nun können sie zuverlässig echte Störungen von Fehlalarmen unterscheiden. Fehlalarme gibt es zum Beispiel dann, wenn eine Bahntrasse in der Nähe der Pipeline selbst elektrische Spannungen überträgt. Früher musste bei jedem Alarm ein Techniker die Situation vor Ort überprüfen. Das ist nun nicht mehr notwendig. Auch können durch die Digitalisierung der Sensoren problemlos weitere Sensoren in das Pipemon+-System integriert werden, ohne das gesamte System aufwendig anpassen zu müssen.

Remote Support

Die OGE-Standorte sind dezentral in Deutschland verteilt. Gibt es an einem Standort ein technisches Problem, musste bisher stets jemand dorthin reisen, um es zu lösen. Durch „Remote Support“ kann zukünftig die technische Leitung die Fachkräfte vor Ort per Augmented Reality dazu anleiten, selbst das Problem zu beheben.

Digitale Lehrwerkstatt

Der Umgang mit komplexen Maschinen musste bisher im Beisein von Ausbilderinnen und Ausbildern anhand herkömmlich erstellter – teilweise handschriftlicher – Dokumentationen erlernt werden. In der digitalen Lehrwerkstatt können sich die Auszubildenden nun mit digitalen Schulungsinhalten und Selbsttests unabhängig von ihren Vorgesetzten mit den Maschinen vertraut machen.

Mixed Reality

Wie lässt sich die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen in den einzelnen Fachbereichen steigern? Indem OGE intern die Fachbereiche nach ihren Herausforderungen und Bedürfnissen fragt. Diese werden dann nach Möglichkeit mit zukunftssicheren digitalen Lösungen erfüllt. Ein Beispiel ist der Umgang mit den klassischen Bauplänen. Diese Pläne in DIN A0 sind im Handling auf der Baustelle sehr unpraktisch, immer wieder kommt es auch zu Missverständnissen bei der Interpretation von Angaben auf dem Plan. Hier kann OGE unter anderem die Microsoft HoloLens einsetzen. Das ist eine Brille, über die sich dreidimensionale holografische Objekte im physischen Raum positionieren lassen. Die HoloLens bildet eine sogenannte Mixed Reality ab. Bedeutet: Der Nutzer sieht sowohl sein tatsächliches Umfeld als auch digitale Objekte, mit denen die physische Realität ausgestattet werden kann. In vielen Anwendungen können damit die klassischen Pläne ersetzt werden. Der Nutzer sieht sofort, wie das geplante Objekt einmal aussehen soll, welche Dimensionen es hat und wo am Objekt welche Arbeiten notwendig sind. Auch bei technischen Aufgaben wie einem Schaltschrankbau hilft die HoloLens dabei, den Kolleginnen und Kollegen in der Werkstatt die geplanten Schaltungen dreidimensional abzubilden – und ihnen das angestrebte Ergebnis ihrer Arbeit „vor Augen zu führen“.

Sebastian van Bürk:

„Mir persönlich machen die Digi­ta­li­sierungs­projekte am meisten Spaß, mit denen wir draußen ganz nah am Ge­schehen sind. Bei unseren Field Service Workern, die draußen an den Leitungen arbeiten.“

Digitale Technologien, mit denen OGE heute schon arbeitet:

Virtual Reality/Mixed Reality

  • zur Visualisierung und Simulierung von Baustellen an Pipelines und Verdichterstationen
  • zur Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, z. B. für virtuelles Schweißen

Data Lake

Gesammelte Daten aus Unternehmensquellen werden genutzt:

  • für Prognosetools, etwa zur Ermittlung von Gasmengen und zur Preisentwicklung
  • zum Aufbau eines digitalen Zwillings beispielsweise einer Verdichterstation; damit wird eine cloudbasierte Netzsteuerung erprobt und simuliert
  • zur Visualisierung von Pipeline-Daten, die beispielsweise über Satelliten oder Drohnen gesammelt werden

Internet of Things/digitale Sensorik

Dezentrale Sammlung und Analyse von Sensordaten, um Anomalien zu erkennen:

  • bei der technischen Infrastruktur an Pipelines und Verdichterstationen
  • in der IT (Cyber Security)